Zwischendurch ereilte uns noch die Meldung, dass der Mann, der Tochter meiner Cousine dauerkrank war. Er war Förster, ein ganz netter Kerl, aber Alkohokrank. Eines Tages Tod im Alter von ca. dreißig Jahren.
 

Die Jahre gehen schnell vorbei. Kurz vor der Wende haben wir einen Pachtgarten übernommen, dass heißt, wir haben einen Quekenacker urbar gemacht. Dort fühlen wir uns wohl und warten immer sehnsüchtig auf den Frühling. Nun hat aber eine Gartennachbarschaft auch seine Tücken. Erstens kann man sich die Nachbarn nicht aussuchen und man möchte ja auch den Kontakt mit ihnen pflegen. Aber von vornherein kann man nicht sagen, wie es kommt. Der eine direkte Nachbar erkrankte gleich, nachdem wir begannen Lauben aufzubauen. Ein Kerl wie ein Schrank- Schlaganfall, ca vierzig Jahre, aber trotz Behinderung noch bis zu seinem dreiundfünfzigsten Geburtstag fleißig im Garten. Dann Herzschwäche, aus. Hier zog ein Frauenpaar ein, dass sehr selten da ist. Der andere war zweiundsechzig, als er sich in seiner Laube ausruhen wollte, aber nie wieder aufstand. Kein Alk im Spiel. Nachfolger- damals arbeitsloser, mitdreißiger, lediger Mann.
Trinkfreudig.

Schon nach kurzer Zeit hatte er alle Arme ausgestreckt und Gleichgesinnte aufgespürt. Nun denn. Ab und zu wurde ich auch gelockt. Und es ist was anderes. Man hört neue Geschichten, man klagt sein Leid, man streitet sich und man weiß vieles besser. Meistens machen die Gleichen das Gleiche. Nach dem dritten Kräuter fängt genau der an zu schimpfen, von dem man es erwartet hat und der nächste wiederholt nach dem fünften Bier das, was er immer nach dem fünften Bier erzählt.

Wie gesagt, diese Truppe traf sich regelmäßig, um nicht zu sagen täglich. Einer hat es nicht überlebt. Man fand ihn nach drei Tagen zu Hause auf dem Sessel mit einer Büchse Bier in der Hand. Alter ca. sechsunddreißig.

Genau so wurde ein ehemaliger KFZ-Meister, ein Kollege aus der Zeit der Deutschen Post, aufgefunden. Auch ein ganz klasse Kollege. Es hat familiär nicht hingehauen, mit anderen Frauen auch nicht. Der Trunksucht verfallen und mit ca. sechzig Jahren im Sessel mit einer Büchse Bier in der Hand für immer gegangen.

Nach der Wende und zwei bis drei Jahre Montage, wurde ich Teamleiter. Ich hatte ein paar Serviceleute als Team und musste selbst oft an die Basis fahren, um Material zu transprotieren, mit Kunden verhandeln, oder beraten. Das machte mir Spaß und ich gab, was ich geben konnte. Aber leider bleibt nicht alles so, wie es ist. Mein Team wurde immer kleiner und ich war davon der "Letzte der Mohikaner"! Ich sollte eine andere Truppe übernehmen, was aber durch das Jahrtausendmillenium doch nicht vollzogen werden konnte.
So wurde ich eine Art Kalfaktor. Ein Mann für alle Fälle.

Auch das machte Spaß.

Dann musste ich mir meine Bandscheibe operieren lassen und war fünf Monate außer Gefecht. Danach wurde ich inoffizieller Logistiker für unseren Bereich. Die Position Lager(mit)arbeiter gab es im Gehaltskatalog nicht mehr. Aber jemand musste es machen. Und da kam eine Zeit, von der ich ungerne erzähle, aber es trotzdem tue.
Unser Außenlager befand sich ein paar Kilometer von unserem Bürogebäude entfernt. Dort musste ich täglich noch vor der Frühstückszeit hin, um das gelieferte Material zu kontrollieren. Ich nahm immer eine große Kanne Tee mit und frühstückte im Auto. Eines Tages, als die Winterzeit herankam, dachte ich, bei der Kälte ist es doch ganz gut, wenn man den Tee mit einem Schuß Glühwein versetzt. Und so tat ich das dann auch ab und an mal. Und eines Tages, ich musste ein anderes Dienstauto nehmen, erhob sich vor mir eine Polizeikelle. Mein Puls stieg auf einen unermesslichen Wert an. Ich dachte, jetzt haben sie dich. Geschieht dir einerseits recht, aber...

Ich sollte den Verbandskasten zeigen, die Papiere usw. Alles versuchte ich mit zittrigen Händen hervorzuholen, was aber schlecht gelang.

Da fragte mich eine ganz junge, in Ausbildung befindliche, Polizistin so ganz nebenbei: "Haben sie Alkohol getrunken?" Vielleicht musste sie das fragen. Mir rutschte mir das Herz in die Kniekehle und ich stammelte: "Nein, das darf man doch nicht, wenn man Auto fahren muss."

Ich kam davon und es war mir eine Lehre.


Ich trank meist allein in meinem Garten. Ich wollte ja immer trotzdem etwas schaffen. Sich schon morgens treffen und dann schon alle Fünfe gerade sein lassen, war nicht so mein Ding. Außerdem stand ich ja bis März 2007 noch fest im Arbeitsleben. Doch dann regelte ich mein Gartenleben so, dass morgens alle notwendigen Wege erledigt wurden und ich mich für diese erledigten Aufgaben belohnte. Ich hatte Durst. Und da ich ja nicht mehr weg musste, konnte es ja auch ruhig statt Wasser ein Bier sein. Später dachte ich, Bier macht eine Fahne. Wenn ich Schnaps mit Saft mische, riecht man das nicht so. Das Mischungsverhältnis verlagerte sich aber immer mehr. Eines Tages mahnte mich meine Frau, dass es nicht schön ist, wenn sie nachmittags kommt, ich solche trüben Augen habe und es doch besser wäre nicht schon am Tage Alkohol zu trinken. Natürlich schob ich es auf die Nachbarschaftshilfe, die ich öfter leistete, wenn jemand Hilfe brauchte. Man bedankte sich dann meist mit ein, zwei Bier und schon hatte man wieder Appetit auf mehr. Ab und zu musste ich von meiner Tochter und meiner Frau hören: "Mensch Papa du zitterst ja, Du darfst nicht so viel trinken."
Antwort: "Ja, ich weiß, ich werde daran arbeiten, versprochen!"
Und innerlich sagte ich mir, dass sie Recht haben und das es so nicht weiter gehen kann. Einig waren wir uns aber darüber, dass ein schlagartiges Aufhören nichts bringen würde. Aber wer kann schon langsam aufhören trocken zu werden. Also konnte es so nicht anders werden.

 

Es ergab sich, dass ich "mal wieder" an der Hand operiert werden musste. Warum und wieso, will ich hier nicht weiter ausführen. Es war nicht das erste mal und nicht das letzte Mal. 

Der Tag rückte immer näher und ich weiß leider nicht mehr, was zu dieser Zeit noch so genervt hat, ich fühlte mich derzeitig ganz schön gestresst. Zum Bluttest war ich schon, bemerkte aber selbst, dass ich beim Ausfüllen der Unterlagen recht zittrig war. Ich versuchte, das zu verbergen, weiß aber nicht, ob andere Wartenden es nicht doch bemerkten. Jedenfalls hatte ich einen hochroten Kopf, als ich aufgerufen wurde. Es war mir äußerst peinlich.

Ca. eine Woche vor der OP traf ich mich mit meiner Frau in der Stadt, um in einem großen Warenhaus etwas zu kaufen. Da bemerkte sie auch mein starkes Zittern und machte eine mir unangenehme Bemerkung. Ich schob diese Zitterei auf meine berufliche Tätigkeit. an diesem Tag. Unser Team betreute nämlich die ganzen Lottostellen in unserem Bereich und die defekten Lottogeräte mussten bei der Lotto GmbH gegen instandgesetzte Geräte getauscht werden. Alle Teile mussten mindestens sechs mal umgeladen werden und wogen ca. 13 Kilo. Damit hatte ich den ganzen Arbeitstag verbracht.

Abends trank ich mein "Feierabendbier" und wollte die vierte Flasche aus der Küche holen. Ich bückte mich herunter und...

 

Da kam der erste Schuß vor den Bug!

 

 

 


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